Neben klassischen Beratungsleistungen werden in den letzten Monaten vermehrt sogenannte Task Manager bei unseren Kunden zur Unterstützung in den Organisationen eingesetzt. Schnelleingreiftruppen sozusagen, die ausgewählte Themen anpacken und kosteneffizient umsetzen. Bis Ende Februar diesen Jahres lagen die Engagements unserer Task Manager zumeist in der Optimierung von Lieferantenbeziehungen und dem Lösen von Wachstumsschmerzen. Es ging darum, die Verfügbarkeit von Materialien und Kapazitäten bei Lieferanten in umkämpften Beschaffungsmärkten sicherzustellen. Alles war auf Wachstum ausgerichtet. Die Devise lautete: Wer Ware hat, kann verkaufen.
Nun sehen sich viele Industrieunternehmen einer Supply Chain gegenüber, die stark unter Unsicherheiten und Restriktionen – ausgelöst durch Covid-19 – leidet. Länder und damit Wirtschaftsräume schotten sich ab. Lieferketten sind unterbrochen oder gestört. In bestimmten Bereichen, dort wo die Wertschöpfung in besonders stark betroffenen Regionen, z.B. in China ihre Heimat hat, wurde der Antrieb teilweise komplett stillgelegt. Wie bei einem modernen Motor, der auf Effizienz getrimmt wurde, haben nun auch die globalen Lieferketten ihre Verwundbarkeit gezeigt. Die viel gepriesene Globalisierung hat in den letzten zwei Jahren bereits durch Handelshemmnisse, wie den Zollstreit im Wirtschaftsnetzwerk USA-China-Europa gelitten. Nun erhalten Gedanken einer Re-Lokalisierung von Produktionskapazitäten und Wertschöpfungsclustern nochmals Rückenwind. Was über zwei Jahrzehnte konsequent aufgebaut wurde, kann jedoch nicht in kürzester Zeit transformiert werden. Ich diskutiere im Folgenden vier Themen, die kurzfristige Maßnahmen in der Krise aufzeigen:
Die 4 Top Supply Chain Themen während Covid-19
1. Bedarfs- und Verfügbarkeitskoordination
Hohe Volatilität und Unsicherheit sowohl absatz- als auch lieferseitig sind unmittelbare Folgen der Krise. Task Manager im Einkauf fokussieren sich auf die enge Koordination von Bedarfen und Verfügbarkeiten zur Sicherung der täglichen Lieferfähigkeit. Wie unmittelbar die Krise die Verfügbarkeit beeinflusst hat, zeigen Produktionsstopps in China, Spanien und Italien.
Wie konkret drohende Lieferengpässe werden können, liegt häufig im Ungewissen. Welche Lieferanten und Lieferketten genau betroffen sein werden, wie groß der Engpass ausfällt und wie lange er anhalten wird, sind Fragen, die betroffene Einkaufsleiter aktuell beschäftigen.
Der Umgang mit großen Unwägbarkeiten, detaillierten Analysen und anschließender Bewertung der aktuellen Situation sind keine alltäglichen Aufgaben von Einkäufern. Die Fähigkeiten kritische Entscheidungspfade zu managen, sind oftmals nicht ausreichend in Organisationen etabliert. Es geht zunächst darum, das Beschaffungsportfolio und die Kritikalität von Lieferanten und Bauteilen aber auch Dienstleistungen (z.B. verlängerte Werkbank) transparent zu machen. Basierend auf den dadurch gewonnenen Erkenntnissen sind dann bei kritischen Themen konkrete Maßnahmen abzuleiten. Dies können kurzfristige, aber ebenso gut auch strategische Maßnahmen sein. Wichtig bleibt dabei immer, eine Balance zwischen dem kurzfristig Notwendigen (siehe Krisen-Sourcing) und dem langfristig Sinnvollen (siehe Lieferantenwechsel und Lieferanten-Portfolio-Optimierung) zu finden.
2. Krisen-Sourcing
Mittlerweile schlagen Verfügbarkeitsengpässe bei deutschen Unternehmen unbarmherzig durch.
Das plakativste aller Beispiele war sicherlich die Liefersituation bei Atemmasken – eine Nische, die nach Asien verlagert worden war. Hier war der Bedarf nun in die Höhe geschossen. Das Resultat: In Europa kam es zu ernsthaften Engpässen, die teilweise sehr kurzfristig und kreativ gelöst werden mussten. So stellen jetzt auch fachfremde Unternehmen wie Trigema oder eterna Atemmasken her.
Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass bestimmte Grundbedürfnisse nicht nur durch kostengünstige Lieferanten in Fernost gedeckt werden sollten. Jetzt geht es darum, schnell andere Beschaffungsquellen zu identifizieren und zu qualifizieren, um den eigenen Bedarf zukünftig zu decken.
Konkrete Beispiele aus dem Kundenkreis der breitengrad° AG sind die Abhängigkeiten der Industrieunternehmen von bestimmten Warengruppen, wie beispielsweise elektronische oder mechanische Baugruppen. Diese hatten im Zuge von Asia-Sourcing ihre Heimat zunehmend im chinesischen Beschaffungsmarkt gefunden. Jetzt sehen sich einzelne Branchen dazu gezwungen, schnell umzustellen und neue Beschaffungsquellen aufzutun.
Krisen-Sourcing muss zwar nicht zwingend, kann aber durchaus Nearshoring bedeuten. Grundkompetenzen und Kapazitäten sollten auch im Inland oder im angestammten Wirtschaftsraum – in diesem Fall der EU – vorhanden sein.
Kommt nun also eine Rückbesinnung auf lokale Beschaffungsquellen? Und, wie kann dieses Problem schnell gelöst werden? Viele Unternehmen starten bereits mit kurzfristigen Lösungen, um die akut entstandenen Engpässe zu überbrücken. Es ist anzunehmen, dass die neu etablierten Geschäftsbeziehungen mittelfristig das Beschaffungsportfolio signifikant beeinflussen werden. Daher gilt es, diese Tasks neben dem täglichen Geschäftsbetrieb besonders achtsam, konsequent und nachhaltig umzusetzen.
3. Lieferantenwechsel
Direkt an die zuvor diskutierten Themen schließt sich das Thema Lieferantenwechsel an: Die Umwälzungen durch Corona führten zu Engpässen, die bereits Anfang März absehbar waren und zwangsläufig zu einer Anpassung der Lieferantenbasis führen mussten.
In einem konkreten Fall wurde ein Task Manager darum gebeten, die Verlagerung von Bauteilen von einem Lieferanten in Fernost zu einem Lieferanten in Europa zu managen.
Es galt dabei, schnellstmöglich die Verlagerung der Umfänge ohne kurzfristige Einbußen in der Lieferfähigkeit zu bewerkstelligen. Zudem wurde es zur Herausforderung, eine solche komplexe Arbeit parallel zur täglichen Arbeit der Einkäufer durchzuführen. Vor allem bedingt durch die einsetzende Home-Office-Phase in der zweiten Märzhälfte wurden derartige Aktionen im täglichen Betrieb nicht gerade erleichtert.
Heute sind die wichtigsten Entscheidungen getroffen und Maßnahmen eingeleitet oder umgesetzt, ohne dass interne Kapazitäten hierfür abgezogen werden mussten. Dies ist ein Beispiel eines klassischen Tasks, der parallel zum operativen Geschäft umgesetzt werden kann und nur bedingt Zeit vor Ort im Unternehmen oder bei Lieferanten bedarf.
4. Lieferanten-Portfolio-Optimierung
Die Lösung der Abhängigkeiten von Single Source Lieferanten oder geographischen Herkunftsregionen kann – wie oben beschrieben – zur prioritären Aufgabe der Beschaffung werden. Ein über Jahre entstandenes Lieferantenportfolio lässt sich jedoch nicht kurzfristig „komplett auf links“ drehen. Bei diesem Task geht es eher darum, kurzfristig das Notwendige zu tun (siehe oben), und mittel- bis langfristig eine Strategie zu etablieren, die ein Gleichgewicht zwischen Effizienz und Resilienz bietet.
Covid-19 ist in diesem Falle nur der Stein des Anstoßes. Die Lieferkettenkrise, die wir als Resultat sehen, könnte ein Umdenken auslösen, wie lokale Industrien künftig ihre Wertschöpfungsketten aufbauen und managen. Eine ähnliche Forderung wurde allerdings auch bereits nach den Lieferkettenkrisen 2008/2009 oder nach dem Fukushima Erdbeben vor neun Jahren laut. In der Folge gab es durchaus interessante Initiativen, jedoch fielen die meisten Unternehmen wieder auf alte Schemata zurück: Kosteneffizienz vor Resilienz. Es bleibt abzuwarten, ob die aktuelle Krise ein konsequenteres Umdenken und nachhaltigeres Handeln anstößt – wo doch so viel darüber zu lesen ist, dass die Welt nach Covid-19 nicht mehr die alte sein wird.
Die vier oben kurz angerissenen Tasks sind sicherlich nur ein Ausschnitt aus einem deutlich komplexeren Gesamtbild. Sie beruhen auf aktuellen Erfahrungen unserer Task Manager.
Wir alle sehen uns den aktuellen Entwicklungen ausgesetzt. Trotzdem können wir bisher immer noch die für uns wichtigsten Handlungsalternativen auswählen. Bleiben wir also gespannt, welche Themen die Agenda der Einkaufs- und Supply Chain Manager in 2020 bestimmen werden.